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Wie der Jazz in New Orleans entstehen konnte

Von Christian Christl

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Lange bevor New Orleans im Jahr 1817 von den Franzosen gegründet wurde, lebten verschiedene Indianerstämme in der Gegend. Gegen 1690 kamen die ersten Trapper, die auf der Suche nach Fellen waren. Erst der französische Captain Jean-Baptiste de Bienville gründete dort eine Stadt als Festung für die Soldaten. Durch die günstige Lage am Mississippi, und weil das Land dort das einzige im weiten Umkreis war, wo man festen Boden unter den Füßen hatte und keinen Sumpf mit Alligatoren und Schlangen, wurde der Hafen schnell zur Anlaufstelle auch für Immigranten aus allen Kontinenten.

1763 fiel der Staat Louisiana – und New Orleans – an die Spanier. Die meisten französisch sprechenden Einwohner dürften wohl nicht sehr begeistert gewesen sein. 1794 und 1795 gab es zwei große Brände, die nahezu alle Häuser hinraffte. Die Spanier bauten sie wieder auf. Deshalb sind heute noch viele architektonische Feinheiten aus der spanischen Zeit zu erkennen. Denn die meisten Häuser aus der damaligen Zeit stehen bis heute im French-Quarter. Im Jahr 1800 fiel Louisiana zurück an die Franzosen. Aber nur für kurze Zeit. Bereits 1803 verkaufte Napoleon das Land an die Vereinigten Staaten von Amerika.

Mehr und mehr Zuwanderer aus aller Welt wählten New Orleans als Anlaufstelle. Sie alle brachten ihre Kultur, ihre Küchenrezepte und ihre Musik mit. Im Jahr 1808 versorgte New Orleans als größter Sklavenmarkt in Amerika die umliegenden Plantagen mit „billigen“ Arbeitskräften. Sklaven wurden in New Orleans überall verkauft: Auf der Straße. Auf Plätzen. In Kneipen und in Hotels.

Erst im Jahr 1865 wurde die Sklaverei verboten. Sie hielt sich aber im Süden noch über viele Jahrzehnte und die heutige Rassendiskriminierung in den USA ist eine direkte Folge.

Die Anfänge des Jazz

Die Melange aus Einwanderern und Sklaven brachte auch eine neue Musik hervor. In ihr verschmolzen alle Einflüsse: Klassik aus Europa, Trommeln und Rhythmus aus Afrika und der Karibik, südamerikanische Grooves, Melodien von Volksmusik.

Die frühe Entwicklung des Jazz in New Orleans wird vor allem mit der Popularität des Bandleaders Charles „Buddy“ Bolden in Verbindung gebracht, eines Kornetisten, dessen Charisma und musikalische Ausdruckskraft legendär wurden. Nachdem er 1894 kurz im Streichorchester von Charley Galloway gespielt hatte, gründete Bolden 1895 seine eigene Gruppe und erklärte 1897, er hätte den Jazz erfunden. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts baute er eine treue Anhängerschaft auf und unterhielt Tänzer in der ganzen Stadt, insbesondere in der Funky Butt Hall, die auch als Kirche diente. 1906 schlug er einen Nebenbuhler auf der Straße halb tot. Im folgenden Jahr wurde er für den Rest seines Lebens im staatlichen Sanatorium in Jackson, Mississippi untergebracht.

„Jass“ bedeutet Freiheit

Buddy Bolden soll gesagt haben, dass „Jass“- wie er es nannte, Freiheit bedeutet. Es bedeutet, keinem Zwang, keiner Linie, keinen Regeln folgen zu müssen, sondern die eigene Intuition sei entscheidend. Und je besser die eigene Intuition geschult sei, desto besser sei der Musiker.

Tanzen war lange Zeit ein fester Bestandteil des Nachtlebens von New Orleans, und Boldens Popularität beruhte auf seiner Fähigkeit, Tänzern das zu geben, was sie wollten. Während des neunzehnten Jahrhunderts hatten Streichorchester unter der Leitung von Geigern die Tanzbands dominiert und einem höflich tanzendem Publikum Walzer, Quadrillen, Polkas und Schottische Märsche geboten. Um die Jahrhundertwende änderte sich die Instrumentierung: Jetzt standen Kornett, Klarinette und Posaune mit einer Rhythmusgruppe aus Gitarre, Bass und Schlagzeug im Vordergrund. Das Tanzpublikum, besonders das jüngere, freute sich über die neue Musik. Ragtime, Blues und später Jazz befriedigte diese Nachfrage. Zunehmend begannen Musiker, jahrhunderte lange Traditionen in der Musik neu zu definieren: Weg vom Blattspiel hin zum Spielen nach Gehör.

Im Gegensatz zu Society-Bands wie John Robichaux (die die hochqualifizierten „Franzosen“ oder farbigen Kreolen repräsentierten) erarbeiteten Bands wie Bolden’s, Jack Laine’s Reliance oder The Golden Rule ihre Nummern, indem sie übten, bis Teile auswendig gelernt waren.

Nach Bolden Einlieferung in die Irrenanstalt 1906 kämpften mehrere Bands um die Kontrolle über den „ratty“ (wie er genannt wurde) Musikmarkt. Der Posaunist Frankie Dusen übernahm Boldens Gruppe und benannte sie nach einem beliebten Saloon in Eagle Band um. Der Kornettist Manuel Perez hatte das Imperial Orchestra – eine Tanzband mit „Big Eye“ Louis Nelson Delisle an der Klarinette. Er führte auch die Onward Brass Band in eine lockerere, improvisatorischere Richtung. Andere Tanzbands wie Olympia, Superior und Peerless begannen, den aufregenden Sound des Jazz zu spielen. „Papa“ Laines Reliance-Bands zogen weiterhin junge weiße Musiker an, die Jazz spielen wollten. Die Band, die den Übergang von Boldens frühen Experimenten zu den klassischen Jazzbands der 1920er Jahre am besten repräsentierte, war Kid Orys Creole Band.

Edward „Kid“ Ory, der Sohn eines weißen Franzosen und einer kreolischen Frau afrospanischer und indianischer Abstammung, wurde in La Place, Louisiana, geboren und als farbiger Kreole eingestuft. 1901, im Alter von 14 Jahren, leitete er bereits eine eigene Band, organisierte Tanzveranstaltungen für seine Nachbarn und zog dann nach New Orleans.

 

1907 brachte Ory seine Woodland Band in die Stadt. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts erweiterte er seine Band um zukünftige Jazzstars wie Joe Oliver, Louis Armstrong, Johnny und Warren Dodds und Jimmie Noone. Ory war auch ein talentierter Promoter. Es wird erzählt, dass er als erster motorisierte Lastwagen nutze, auf denen die Band auf der Ladefläche spielte um Werbung für die Auftritte zu machen.

Die frühe Entwicklung des Jazz in New Orleans war mit dem gesellschaftlichen Leben der Stadt eng verbunden: Beerdigungen wurden von Blaskapellen begleitet, kleinere Combos spielten bei Picknicks in Parks. Montags wurden Bankette mit „Red Beans & Rice“ und nächtliche Tanzveranstaltungen in Nachbarschaftshallen in der ganzen Stadt veranstaltet. Natürlich mit Musik. Der New-Orleans-Sound war „Gute-Zeit“-Musik, vorgetragen in einer ausgelassenen, manchmal rauen Art und Weise, die für gewöhnliche Menschen geeignet war, die Musik „mit Gefühl“ suchten. Dieser Geist oder emotionale Inhalt verband die Musiker mit dem Publikum. Zeitgleich mit dem Ersten Weltkrieg (1914-1919) begannen Musiker aus New Orleans, ausgiebig zu reisen. Die Versuche, Tänzern den New-Orleans-Sound außerhalb Louisiana`s näherzubringen, war aber oft nicht von Erfolg gekrönt.

Die Geschichte des Creole Orchestra ist ein typisches Beispiel. Diese Band wurde in Los Angeles vom Bassisten Bill Johnson zusammen gestellt, der bereits 1908 mit einer Band nach Kalifornien reiste. Bis 1914 hatte Johnson einige der besten „heißen“ Jazzmusiker von New Orleans an die Westküste geholt, um den original Sound aus New Orleans spielen zu können.Darunter den Kornettisten Freddie Keppard, George Baquet oder auch den Geiger James Palao.

Bill Johnson landete 1917 in Chicago, wo eine wachsende Wirtschaft im Zusammenhang mit dem Eintritt der Amerikaner in den Ersten Weltkrieg einen Boom auslöste, der Arbeitsplätze für ambitionierte Musiker bedeutete. Johnson schickte ein Telegram zu Joe Oliver in New Orleans und bat ihn nach Chicago zu kommen um in seiner neuen Band zu spielen. Johnson war es auch, der den damals jungen Louis Armstrong nach Chicago holte.

Chicago war auch das Ziel vieler weißer Jazzmusiker, die New Orleans auf der Suche nach Ruhm und Reichtum verließen. 1915 brachte der Posaunist Tom Brown seine Band auf Einladung eines Talentsuchers, der sie auf den Bürgersteigen des Vieux Carre hörte, aus Dixieland in die Windy City. Cornetist Ray Lopez erinnerte sich, dass die Band ihre ersten Wochen im Lamb’s Café damit verbrachte, vergeblich zu versuchen, Tänzer dazu zu bringen, auf die Musik von New Orleans zu tanzen. Das Geschäft zog an, als die Besetzung der Vaudeville Show „Maid in America“ demonstrierte, wie viel Spaß man mit einer Jazzband haben kann.

Erfolgreicher war die Original Dixieland Jazz Band (ODJB). Sie kamen 1916 in Chicago an und ging Anfang 1917 nach New York. Ausschlaggebend für die Popularität der Band war eine Buchung bei Reisenweber’s, einem Kabarett mitten in Manhattan, wo Tänzer (nach anfänglichem Zögern) bald anstanden, um eine „Jazz-Nacht“ zu erleben. Die Band wurde ein Hit, was direkt das Interesse der Plattenfirmen Victor und Columbia weckte, die begierig darauf waren, den neuen „Jazz-Wahn“ auszunutzen. Nach einem gescheiterten Versuch für Columbia hatte die ODJB im Februar 1917 mit einer Aufnahme von „Livery Stable Blues“ für Victor größeren Erfolg. Innerhalb von sechs Monaten nach seiner Veröffentlichung wurden über eine Million Exemplare verkauft, wodurch der New Orleans-Sound mit dem Begriff „Jazz“ verschmolzen wurde.

Ein eigener, unverwechselbarer Sound

Das Ziel eines jeden Jazzmusikers ist es, seine eigene „Stimme“ zu finden, einen Sound, der gleichzeitig einzigartig und identifizierbar ist. Eines der besten Beispiele ist Louis Armstrong, dessen unverwechselbarer Ton auf dem Kornett und sein persönlicher Gesangsstil den Lauf der amerikanischen Musik veränderten.

Für viele liegt Jelly Roll Mortons Hauptbeitrag zum Wachstum und zur Entwicklung des New Orleans Jazz in seinen Leistungen als Pianist, Komponist und Bandleader. Morton wurde als der erste große Jazzkomponist identifiziert – eine Rolle, die mit der Veröffentlichung seines „Jelly Roll Blues“ im Jahr 1915 begann. Der in New Orleans geborene Pianist hatte bereits 1903 Visitenkarten drucken lassen mit der Aufschrift: „Jelly Roll Morton – Erfinder des Jazz“. Er wurde aber nur belächelt.

Morton war ein brillanter Klaviersolist, der in der Lage war, den vollen Umfang der Tastatur zu nutzen, um den Sound einer Band nachzubilden.

Viele begabte Musiker aus New Orleans in den 1920er Jahren aber reisten nicht und blieben in der Stadt am Mississippi, was zu der bemerkenswerten Vielfalt lokaler Jazzaufnahmen von Celestins Original Tuxedo Jazz Orchestra, dem Halfway House Orchestra, AJ Pirons New Orleans Orchestra, den New Orleans Owls, Johnny DeDroit und Louis Dumain führte , die Jones & Collins Astoria Hot Eight, John Hyman und Bayou Stompers und die Sam Morgan Jazz Band. Keine dieser Aufnahmen wurde zu „Hits“ in der Art von Armstrong und Morton, aber sie enthüllen ein wesentliches Element, nämlich dass die Musikszene von New Orleans ein fruchtbarer Boden für kreative Musiker mit unterschiedlichem Hintergrund blieb, die durch eine gemeinsame Liebe zur Musik vereint waren und eine Ehrfurcht vor der Kultur, die sie hervorgebracht hat.

Die wilden 1940er Jahre

Anfang der 1940er Jahre begann eine Bewegung in der Jazzkritik und unter Plattensammlern, die nach den Anfängen des Jazz fragte und so zu einem neuerlichen Interesse am Jazz aus New Orleans führte; infolge dieser Suche nach dem „authentischen Jazz“ wurden Musiker wie George Lewis, Sidney Bechet und Tommy Ladnier aufgenommen, aber auch der mittlerweile auf einer Farm arbeitende Bunk Johnson (dem wir besonders ausführliche Ausführungen über die Spielweise Buddy Boldens verdanken) und Kid Ory wiederentdeckt.

Im Hotel Dew Drop Inn in New Orleans versammelte der Friseur Frank Paina zwischen 1940 und 1970 die Creme de la Creme der Musiker. Nicht nur aus New Orleans. Im Laufe der Zeit spielten alle großen Künstler wie z.B. Big Joe Turner oder auch Ray Charles im Hotel Dew Drop Inn.

Dort aber entstand eine neue Generation an innovativen Musikern. Professor Longhair, Tuts Washington, Allen Toussaint, James Booker und auch der damals junge Mac Rabenack, der später als Dr. John weltbekannt wurde, machten im Dew Drop Inn ihre ersten Bühnenerfahrungen.

In den 1950er Jahren waren es Musiker wie Huye Smith oder Fats Domino, die mit ihren Hits ein Millionen-Publikum begeisterten. Der Sound wurde rockiger, trotzdem blieben die Wurzeln der frühen Jahre stets hörbar. Dafür sorgte u.a. auch Cosimo Mattata, der in seinem Studio an der Rampart Street ein Kleinod schuf, in dem alle großen und kleinen Künstler ihre Songs aufnahmen.

Die Pianisten Allen Toussaint, James Booker und Dr. John trugen den Jazz aus New Orleans in den 1960er, 70er und 80er Jahre hinaus in die Welt und festigten den Ruf, dass die Musik funky ist, dass die Musik jazzy ist und immer modern.

Noch heute ist der „alte“ New Orleans Jazz und der neue New Orleans R&B Funk überall in New Orleans zu erleben. Musiker wie Trombone Shorty, Joe Krown, Jon Cleary, Harry Connick jr., Jon Battiste oder auch Leroy Jones spielen live in New Orleans, in den Clubs, in den Theatern und in den Konzerthäusern.

Phänomenal ist nach wie vor die Preservation Hall in der St. Peter Street im French Quarter. Von außen erkennt man, dass seit Jahrzehnten nichts restauriert wurde. Innen aber geht die Post ab. Pro Abend finden mehrere Shows mit der berühmten Preservation Hall Jazz Band statt. Ein Eintrittsticket gibt es nur online. Der Stehplatz kostet 25,- Dollar, der Sitzplatz 40,- Dollar. Und wer erste Reihe auf Holzkisten sitzen will bezahlt 50,- Dollar. Die Band besteht aus den besten Musikern der Stadt, die um international bekannte Gaststars ergänzt werden. Ein Musikerlebnis der ganz besonderen Art.

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